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Warum meldest Du Dich nicht mehr? – Die Psychologie hinter „Ghosting“

„Ghosting“ ist ein Verb, was den Vorgang des Beendens einer romantischen Beziehung durch unangekündigten Kontaktabbruch bzw. Ignorieren jeder Kontaktaufnahme der anderen Person bezieht1. Kontaktabbruch durch unangekündigtes Einstellen der Kommunikation ist an und für sich nichts Neues, jedoch ist es heutzutage durch die vorwiegend digitale Kommunikationsweise viel leichter und naheliegender geworden. In diesem Artikel möchte ich drei Fragen auf den Grund gehen:

  1. Warum ist Ghosting so schmerzhaft?
  2. Warum wird überhaupt geghosted?
  3. Welche Menschen ghosten, welche nicht?

Warum ist Ghosting so schmerzhaft?

Ghosting bedeutet, dass ein Mensch plötzlich aus dem Leben einer anderen Person verschwindet. Meist geht Ghosting mit mehr Leid aufseiten der verlassenen Person einher als bei anderen Formen der Beendigung von Beziehungen. Um zu verstehen, warum das so ist, ist es sinnvoll, sich anzuschauen, welche Phasen eine verlassene Person typischerweise durchläuft: Verlassen zu werden setzt einen Trauerprozess in Gang. Solch eine Trauer verläuft gemäß der Schweizer Psychologin Verena Kast in vier Phasen2. Je nachdem ob es sich um eine Kurzzeitbeziehung (Affäre) oder Langzeitbeziehung (Beziehung, enge Freundschaft) handelte, können die Phasen kürzer oder länger, intensiver oder weniger intensiv sein.

  1. Nicht-Wahrhaben wollen: Unmittelbar nach dem Verlust der anderen Person besteht oft eine Art Schockzustand. Aufgrund der Hilflosigkeit und Ohnmacht, ist es in dieser Phase eine naheliegende Strategie, die Trennung nicht wahrhaben zu wollen.
  2. Aufbrechende Emotionen: In der zweiten Trauerphase brechen sich die Emotionen Bahn. Dazu können Wut, Traurigkeit, aber auch Scham und Schuld gehören.
  3. Suchen und Sich-Trennen: Nach dem Zulassen der Emotionen folgt eine Phase, in der die verlassene Person sich mit der Trennung auseinandersetzt. Man denkt viel über die zerbrochene Beziehung/Freundschaft nach, sucht nach Gründen für das Scheitern. Langsam gelingt es, Abschied zu nehmen.
  4. Neuer Selbst- und Weltbezug: Es haben zunehmend wieder andere Themen Raum im Leben der verlassenen Person. Die Trennung tritt gedanklich in den Hintergrund.

Das Problem am Ghosting ist, dass ein klares Ende der Beziehung fehlt. Aufgrund der damit einhergehenden Ungewissheit, ob er oder sie sich nochmal meldet, bleibt die verlassene Person oftmals in Phase 1 stecken oder alterniert zwischen den Phasen 1 und 2 hin- und her. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Trennung oder ein Abschluss ist in der Regel erst nach längerer Zeit möglich. Somit ist die Phase der Ungewissheit und des Schmerzes viel länger.

Ein weiterer sehr schmerzhafter Punkt am Ghosting ist, dass die geghostete Person an ihrer eigenen Wahrnehmung zweifelt. Denn durch das plötzliche Verschwinden der anderen Person entsteht der Eindruck, dass all das was vorher war, unwirklich war, dass man sich Dinge eingebildet hat und dass man seiner eigenen Wahrnehmung nicht trauen kann. Denn einen anderen Grund kann es doch nicht geben, dass die andere Person sich nicht mal die Zeit genommen hat, zu erklären, dass es von ihrer Seite nicht passt, oder? Dieses Gefühl wird oft in folgende Freundschaften/Beziehungen hineingetragen. Die Angst vor einem erneuten Ghosting bleibt.

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Warum wird geghosted?

Eine Beziehung offiziell zu beenden ist sehr unangenehm. Es bedeutet, die andere Person zurückweisen zu müssen. Egal, wie nett man es verpackt: Man sagt der anderen Person damit, dass man sie – zumindest zu diesem Zeitpunkt und unter diesen Bedingungen – nicht will. Dass die andere Person mehr will als man selbst. Und man begibt sich in eine Position, in der man die andere Person verletzt. Denn egal wie nachvollziehbar die Gründe für die Zurückweisung sein mögen – Ablehnung schmerzt. Immer. Ob man nun sagt „Es liegt an mir und nicht an Dir“ oder „ich suche im Moment einfach nichts Festes“, was bleibt ist: „Ich will Dich nicht“. Wenn man sich hingegen einfach nicht meldet, dann umgeht man es, die andere Person direkt zu verletzen. Man gibt keine Begründung und sagt somit auch nicht „Ich will Dich nicht“. 

Hinzu kommt noch, dass mit einer offenen Zurückweisung eine gewisse Endgültigkeit einhergeht. Denn es ist eher unwahrscheinlich, dass die andere Person erfreut reagiert, wenn man ein paar Wochen nach diesem unangenehmen Gespräch doch Sehnsucht hat und anruft oder eine nette Nachricht schreibt, als wäre nichts gewesen. Und um eine so endgültige Entscheidung zu treffen, muss man sich ja auch sicher sein, dass man wirklich auch in der Zukunft niemals mehr von dieser Person will. Und weiß man das? Ganz sicher? 

Ich behaupte, dass niemand freiwillig oder aus Spaß mit den „Gefühlen anderer spielt“. Die Person, die ghosted, will definitiv weniger oder zumindest etwas anderes als die andere Person, aber sie möchte auch nicht gar nichts von der Person. Daher möchte sie keine klaren Worte sprechen und es kommt zur Vermeidung der Situation verbunden mit immer längeren Phasen des Sich-nicht-Meldens. Und irgendwann hat man dann die andere Person so lange geghosted, dass man sich dann auch nicht mehr guten Gewissens melden kann. Ghosting completed.

Wer ghosted?

Nicht alle Menschen ghosten. Einer aktuellen wissenschaftlichen Publikation zufolge3 gaben ein Viertel der 560 anonym Befragten an, bereits Opfer von Ghosting gewesen zu sein. Ein Fünftel gab an, in der Vergangenheit jemanden geghosted zu haben. Was sind es also für Menschen, die eher zu einer solchen Strategie wie Ghosting greifen? Es scheint einen Zusammenhang zwischen unseren Annahmen über Beziehungen und der Wahrscheinlichkeit jemanden zu ghosten zu geben. Nämlich scheinen Menschen, die mit so genannten Schicksals-Annahmen („entweder gehört man zusammen oder eben nicht“, Idee des Seelenverwandten) an Beziehungen herantreten, eher dazu zu neigen, zu ghosten. Hingehen scheinen Menschen, die mit stärkeren Wachstums-Annahmen („Beziehungen wachsen über die Zeit“, „Man kann Beziehungen aktiv verändern“) an Beziehungen herangehen, weniger zu ghosten und es auch weniger akzeptabel zu finden, wenn anderen Menschen ghosten.

Zudem scheint Ghosting auch mit unserem kindlichen Bindungsstil zu tun zu haben4: Menschen, die einen vermeidenden Bindungsstil haben, welcher meist zustande kommt, wenn die Eltern einem als Kind wenig Interesse und Aufmerksamkeit entgegengebracht haben, neigen eher dazu, andere Menschen später zu ghosten. Hingehen laufen Menschen mit einem ängstlichen Bindungsstil, welcher durch ambivalentes Verhalten früher Bezugspersonen zustande kommt, eher Gefahr geghosted zu werden. Warum spielt der Bindungsstil auch als Erwachsene eine so große Rolle?

Nun, wir lernen durch die Beziehung zu unseren Eltern, wie Beziehungen funktionieren und was wir in Beziehungen beeinflussen können. Verhält sich zum Beispiel die Mutter unabhängig von unseren Bemühungen kühl, abweisend und desinteressiert, dann lernen wir, dass es sich nicht lohnt, in Beziehungen zu investieren und dass wir besser allein zurechtkommen. Dementsprechend brechen wir Beziehungen schneller ab und investieren auch im Erwachsenenalter weniger. Wenn die Mutter sich hingegen mal abweisend, mal fürsorglich verhält, lernen wir, dass wir am besten ganz viel investieren, um möglichst viel fürsorgliches Verhalten abzubekommen. Dementsprechend investieren wir auch in späteren Beziehungen tendenziell mehr als andere und geben auch nicht auf, wenn von der anderen Person wenig zurückkommt. Denn das sind wir ja gewöhnt.

Literatur

[1] Safronova, V. (2015). Exes explain ghosting, the ultimative silent treatment. The New York Times. Retrieved from https://www.nytimes.com/2015/06/26/fashion/exes-explain-ghosting-the-ultimate-silent-treatment.html

[2] Kast, V. (2018). Trauern: Phasen und Chancen des psychischen Prozesses. Verlag Herder GmbH.

[3] Freedman, G., Powell, D. N., Le, B., & Williams, K. D. (2019). Ghosting and destiny: Implicit theories of relationships predict beliefs about ghosting. Journal of Social and Personal Relationships36(3), 905-924.

[4] Powell, D. N., Freedman, G., Williams, K. D., Le, B., & Green, H. (2021). A multi-study examination of attachment and implicit theories of relationships in ghosting experiences. Journal of Social and Personal Relationships, 02654075211009308.

"Last night I was drunk on your words. This morning I'm hungover on your silence."

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