Die Pflegefachkraft
Im Interview
Die Pflegefachkraft
Eva-Maria spricht über ihren Arbeitsalltag als examinierte Gesundheit- und Krankenpflegerin sowie Praxisanleiterin. Sie berichtet über ihre Mission, mehr Wertschätzung und Work-Life-Balance in die Pflege zu bringen und das Berufsbild somit attraktiver zu machen.
Eva-Maria Zehetmair
Über Eva-Maria
Eigentlich war es ihr Plan, nach dem Abitur Mechatronik zu studieren, um Ingenieurin zu werden. Für den Beruf der Pflegefachkraft hatte sich Eva-Maria nie sonderlich interessiert. Sie hat ihn sogar abgewertet, weil sie keinerlei Informationen darüber hatte, was es bedeutet, professionell zu pflegen. Denn das wird in den Schulen – gerade auf Gymnasien – nicht vermittelt.
Durch unterschiedliche Ereignisse im Privatleben hat sie sich jedoch entschieden, zunächst einen Bundesfreiwilligendienst bei den Maltesern zu machen. Durch diese Erfahrung hat sie gemerkt, wie schön es ist, ältere Menschen pflegerisch zu begleiten. So wurde die Idee geboren, hauptberuflich in die Pflege zu gehen. Sie begann mit einem dualen Studium Pflege. „Zunächst war es ein Schock, in den Pflegekontext zu kommen. Das war wie ein Haifischbecken. Das Selbstbewusstsein in der Ausbildung ist ganz unten, denn man ist die letzte in der Hierarchie.“ Doch rückblickend bewertet sie gerade die Tiefpunkte während der Ausbildung als Grund für ihre spätere Weiterentwicklung.
Nach dem Studium ist Eva-Maria auf die Intensivstation gegangen. Durch den intensiven Arbeitsalltag und die Beanspruchung durch den Schichtdienst hat sie gemerkt, wie wichtig ihr die Work-Life-Balance ist. Sie traf die Entscheidung, sich als zentrale Praxisanleiterin weiterzubilden. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war ihr Spaß an der Begleitung von jungen Leuten und der Wunsch, für ein wertschätzendes Arbeitsumfeld innerhalb der Pflege zu sorgen. Als zentrale Praxisanleiterin arbeitet sie nun nicht mehr im Schichtdienst. „Wenn mir früher jemand gesagt hätte, dass Pflege auch anders geht, dann hätte ich schon viel früher gehandelt.“
Ich traf Eva-Maria zum Interview, um sie zu ihrem Blick auf den Stand des Pflegeberufes in Deutschland zu befragen, und zu erfahren, wie man innerhalb eines der aufreibendsten Berufe trotzdem die eigene Work-Life-Balance erhalten kann.
Reingezoomt
Ein Arbeitstag
„Im Moment übe ich verschiedene Tätigkeiten aus. Hauptberuflich bin ich zentrale Praxisanleiterin, nebenberuflich Erste-Hilfe-Ausbilderin. Außerdem bin ich selbstständig als Coach für Pflegekräfte und befinde mich zudem im Studium für Lehramt für Gesundheits- und Pflegewissenschaft.
Als zentrale Praxisanleiterin treffe ich aktuell aus dem Homeoffice pädagogische Vorbereitungen für die Praxisanleitungen. Während der eigentlichen Praxisanleitungen bin ich in der Klinik auf den Stationen mit den Pflegestudierenden. Einen oder zwei Tage im Monat mache ich Erste-Hilfe-Ausbildungen. Einen Tag pro Woche widme ich dem Studium und einen Tag meiner Selbstständigkeit. Dabei ist ein gutes Zeitmanagement wichtig.“
"Erfolg bedeutet die Möglichkeit, meine Zeit frei einzuteilen und das tun zu können, worauf ich Lust habe. Das resultiert dann in Ausgeglichenheit, Leichtigkeit und einem Gefühl von Wertschätzung."
Eva-Maria
Was denkst du über ...
Work-Life-Balance
„Auf der Intensivstation habe ich bemerkt, dass ich nur noch für meine Arbeit lebe. Da bin ich das erste Mal auf die Wichtigkeit von Work-Life-Balance gestoßen. Das Konzept bedeutet für mich, im Beruf und in der Freizeit die Balance zu finden.“
Was denkst du über ...
Das Thema Traumberuf
„Es gibt nicht diese eine Berufung, von der man schon seit der Kindheit weiß, dass man genau das machen will. Es ist das Ausprobieren, das Testen, was uns nachher zu einem Beruf führt, in dem wir glücklich werden können. Der Weg ist das Ziel und auf diesem Weg entdeckt man sich dann.“
Was denkst du ...
Sollte man wissen, wo man in 10 Jahren stehen möchte?
„Ich habe einen Zehn-Jahres-Plan, einen Fünf-Jahres-Plan und einen Drei-Jahres-Plan. Diese Pläne dienen aber nur dazu, die grobe Richtung festzulegen, um endlich loszugehen. Dann kann man schauen, was man auf dem Weg findet. Denn gerade die Umwege machen den Weg umso interessanter. Aber natürlich braucht man Ziele, um erst einmal loszugehen. „
Krankenpflegerin
Der Job
Wie wird man Pflegefachkraft?
Um Pflegefachkraft zu werden, muss man eine dreijährige Ausbildung als Kombination aus theoretischem Unterricht an der Krankenpflegeschule und aus praktischem Unterricht im Krankenhaus absolvieren. Neben der beruflichen Pflegeausbildung gibt es eine primärqualifizierende Pflegeausbildung an Hochschulen (Pflegestudium).
Wie sind die Verdienstmöglichkeiten?
Die sind ganz unterschiedlich. Als examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin auf der Intensivstation verdient man nicht schlecht. Als Berufsanfängerin waren es 3100 Euro Brutto plus Schichtzulagen. Mittlerweile habe ich eine höhere Position, ich arbeite aber nicht mehr in Vollzeit und zudem fallen die Schichtzulagen weg. Die Verdienstmöglichkeiten gehen aber auch hoch bis 60 000 oder 70 000 Euro. Das ist alles Verhandlungssache. Allerdings sind die meisten Pflegekräfte nicht so weit, dass sie verhandeln würden. Durch den sozialen Hintergedanken gibt es oft Hemmnisse, in Verhandlungen zu gehen.
Welche Stressoren bringt Dein Beruf mit sich?
Als Pflegefachkraft herrscht oft ein hohes Stressniveau. Jederzeit kann ein Zwischenfall passieren. Man wird immer wieder durch Notfälle aus der aktuellen Tätigkeit gerissen. Stress kann sich zwar auch mal gut anfühlen und den Adrenalinkick durch positiven Stress suchen sogar viele Pflegekräfte. Allerdings wird der Stress dann zur Belastung, wenn man dann die Patienten nicht richtig behandeln kann.
Welche Glücksmomente gibt es?
Als Praxisanleitung ist ein Glücksmoment für mich, wenn die Studierenden und Auszubildenden strahlen und merken, dass sie etwas bewirken können. In meiner Selbstständigkeit ist es der Moment, wenn meine Coachees ihre Nurse-Life-Balance erreichen und mehr Leichtigkeit spüren.
Welche Eigenschaften sollte man als Pflegefachkraft haben?
Ich denke, dass die Pflegekräfte der Zukunft sich trauen sollten, andere Wege zu gehen und etwas zu verändern. Wichtig ist eine wertschätzende Haltung Kolleg*innen gegenüber sowie der Mut, Missstände anzusprechen. Man muss nicht extrovertiert sein, sollte aber nicht alles einfach hinnehmen. Die Pflege steht am Abgrund und wir brauchen mutige und wertschätzende Leute, die das System verstehen und etwas ändern möchten.
Denkanstöße
Eva-Maria hat den Begriff Nurse-Life-Balance geprägt. Im Rahmen ihres Coachingangebots zeigt sie gestressten Pflegekräften, die das Gefühl haben, nur noch für die Arbeit zu leben und nicht weiterzukommen, einen Weg auf. Somit wird Eva-Maria zu der Person, die sie sich in ihrer Ausbildung selbst gewünscht hätte. Bei dem Coaching geht es um den Aufbau von Selbstwirksamkeit und die aktive Gestaltung des eigenen Berufs innerhalb der Pflegebranche.
Zwar wird laut Eva-Maria der Pflegeberuf seit der Corona-Krise mehr wahrgenommen. Jedoch ist die Attraktivität nicht gestiegen. Ein Schritt aus diesem Dilemma ist für Eva-Maria die Akademisierung des Pflegeberufes. „In allen anderen Ländern ist der Beruf akademisiert. Nur bei uns nicht.“ Durch eine Akademisierung gäbe es die Chance, die Schüler*innen vom Gymnasium aufzugreifen. „Aktuell entscheiden sich sehr wenig Gymnasiast*innen für den Pflegebereich und wir brauchen einfach jede/n.“
Ob mich an dem Gespräch mit Eva-Maria ihre positive Art, ihr Tatendrang oder ihr Innovationswunsch am meisten inspiriert hat, kann ich gar nicht sagen. Letztlich zeigt Eva-Maria, dass Gestaltungsspielraum und eine aktive und bedürfnisorientierte Herangehensweise an die eigene Karriere in jeder Branche nicht nur möglich, sondern auch notwendig sind. Nicht nur für einen selbst, sondern auch für das Umfeld.
Kennst Du schon das Interview mit der Grundschullehrerin Debby? Ähnlich wie Eva-Maria hat Debby ein relativ fest definiertes Berufsbild für sich so umgestaltet, dass sie sich entfalten kann.
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