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Die Logopädin

Im Interview

Die Logopädin

Adrienne berichtet von ihrem Weg zur Logopädin auf einer Schlaganfallstation. Sie spricht darüber, warum sie sich gerne Ziele setzt, die ihr Angst machen, und erklärt, warum ihre Arbeit für sie mehr als nur ein Job ist.

About

Über Adrienne Hadamus

Ihre größte Leidenschaft? „Essen und Reden“, sagt Adrienne lachend. Und glücklicherweise beschäftigt sie sich genau mit diesen Themen beruflich: Adrienne ist Logopädin. Als solche arbeitet sie aktuell auf einer neurologischen Station in einem Krankenhaus und unterstützt Personen, die zum Beispiel einen Schlaganfall erlitten haben, dabei, wieder schlucken und deutlich sprechen zu können. Parallel arbeitet sie seit fast zwei Jahren als Lehrlogopädin an einer Logopädie-Schule in Reine.

Ihr Weg führte die Münsteranerin durch viele Stationen. Die Verbindung und das Interesse zur Sprache hat sie durch das Theaterspiel, was sie seit ihrer frühesten Kindheit betreibt. Doch dass sie Logopädin werden wird, war lange nicht klar. Adrienne hatte viele Ideen, hat sich in vielen unterschiedlichen Bereichen beworben. Letztlich entschied es der Zufall – oder das Glück – dass sie nun logopädisch tätig ist. Sie wurde bei einer Ausbildungsstätte angenommen und begann so begann ihr Weg in der Logopädie. Ein wichtiger Meilenstein auf ihrem Weg war eine 90-tägige Ausbildung zur Co-Therapeutin für Delphintherapie auf der Karibikinsel Curaçao. Dort arbeitete sie mit schwerstbehinderten Kindern und ihre Begeisterung für den sozialen Bereich verfestigte sich.  

Reingezoomt

Ein Arbeitstag

„Zwei Tage pro Woche bin ich Dozentin an der Logopädie-Schule. Dort habe ich einen festen Rahmen. Mal gebe ich Unterricht, mal supervidiere und plane ich gemeinsam mit meinen Schülern deren Therapien. 

Den Rest der Woche verbringe ich im Akutkrankenhaus, unter anderem auf der Schlaganfall-Station. Dort organisiere ich mich komplett selber. Ich sortiere morgens die Patienten nach Dringlichkeit, dann schaue ich, ob die Person therapiefähig ist. Ich kann selbst entscheiden, wie lange ich therapieren möchte und kann mich somit komplett nach der Verfassung und den Bedürfnissen der Patienten richten. Nach ein paar Therapien gehe ich in mein Büro, dokumentiere alles und nutze die Zeit, um mit Ärzten Rücksprache zu halten. In einer an das Krankenhaus angegliederten Praxis habe ich zusätzlich ein paar ambulante Patienten. Zum Beispiel ab und zu eine Kindertherapie oder einen Hausbesuch. Die Tage sind sehr individuell und flexibel. Die Vielseitigkeit des Berufs genieße ich sehr.“

"Erfolg bedeutet für mich, die Möglichkeit zu haben, Fehler zu machen, daraus zu lernen und mein Wissen mit anderen teilen zu können."

Adrienne

Logopädin

Der Job

Wie wird man Logopädin?

Es handelt sich um eine dreijährige schulische Ausbildung. Um an einer Logopädie-Schule zugelassen zu werden muss man die deutsche Sprache in Wort und Schrift beherrschen und einen stimmlichen Eignungstest machen. In der Ausbildung hat man zusätzlich zum Theorieunterricht ab dem 1. Lehrjahr ein paar Patienten. Die Therapien werden intensiv vor- und nachbesprochen. Pro Semester muss man außerdem ein Blockpraktikum von fünf Wochen absolvieren. Die Ausbildung schließt mit einem Staatsexamen ab. 

Wie sind die Verdienstmöglichkeiten?

Die meisten Arbeitgeber bezahlen nach Tarifvertrag. So wird man beispielsweise nach der Entgelttabelle der AVR Diakonie oder Caritas bezahlt. In den Krankenhäusern bekommt man mehr Geld als in einer Rehaklinik, da der Wert einzelner Leistungen durch die Krankenkassen bestimmt wird und einer Leistung im Akutstadium mehr Wert zugesprochen wird als im Rehastadium. 

Welche Stressoren bringt Dein Beruf mit sich?

  • Zeitmanagement und Selbstmanagement: Man muss schauen, wie man sich zeitlich organisiert. Zudem muss man flexibel und spontan sein. 
  • Emotionalen Stress aushalten: Wenn man im Krankenhaus arbeitet, hat man mit schwerstbetroffenen Menschen zu tun. Zu sehen, wie Patienten weinen, weil sie nicht weiterwissen und Angst haben, ist ein großer Stressfaktor. 

Welche Glücksmomente gibt es?

Jeder kleinste Fortschritt ist ein Glücksmoment. Wenn zum Beispiel ein Patient wieder etwas essen oder trinken kann oder wenn eine langbeübte Übung funktioniert, sehe ich, dass ich etwas bewirke. 

Welche Eigenschaften sollte man als Logopädin haben?

  • Geduld
  • Ruhe
  • Empathie
"Essen und Reden machen so viel an Lebensqualität aus und ich finde es schön, Menschen davon wieder etwas zurückgeben zu können."
Adrienne

Was denkst du über ...

Work-Life-Balance

„Ich finde den Gedanken nachvollziehbar, dass Arbeit und Privatleben unterschiedliche Bereiche sind. Weder möchte ich Privates ins Krankenhaus nehmen noch alle Themen aus dem Krankenhaus mit nach Hause nehmen. Dennoch verbringt man einen Großteil des Lebens mit der Arbeit. Die Arbeit ist ein Teil des Lebens. Daher finde ich die Trennung, die in diesem Wort „Work-Life-Balance“ anklingt, sehr schade. Für mich ist die Arbeit so viel mehr als ein Job. Ich möchte sie gar nicht von meinem Leben trennen.“

Was denkst du über ...

Das Thema Traumberuf

„Ich glaube nicht an den einen Traumberuf. Ich glaube, dass man eine Grundleidenschaft für einen bestimmten Bereich (zum Beispiel den sozialen Bereich) braucht, um beruflich aufgehen zu können. Und dann bringt jedes Berufsbild eine Vielseitigkeit mit sich, sodass es dann eher darum geht, den Beruf so für sich anzupassen, dass man Spaß daran hat. Wenn es bei der Arbeit nicht rund läuft, sollte man daher lieber nochmal gucken, ob man vielleicht das Tätigkeitsspektrum, den Arbeitgeber oder das Arbeitsumfeld ändern kann als den Beruf an sich in Frage zu stellen. Denn jeder Beruf hat so viele Facetten.“

Was denkst du ...

Sollte man wissen, wo man in 10 Jahren stehen möchte?

„Man sollte große Ziele haben, die einem Angst machen dürfen. Zum Beispiel habe ich seit der Ausbildung gewusst, dass ich mal in der Lehre arbeiten möchte. Jedoch dachte ich immer, dass das erst in 10 Jahren möglich sei. Nie hätte ich damit gerechnet, dass ich drei Jahre nach meiner Ausbildung mit 25 Jahren schon Lehrlogopädin bin. Doch einen Zeitraum von zehn Jahren finde ich zu groß, um konkrete Ziele zu haben. Dazu kann man viel zu wenig planen.“

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Denkanstöße

Ich habe aus dem Interview mit Adrienne zwei sehr wichtige Punkte mitgenommen:

  1. In der Logopädie arbeitet sie mit den Betroffenen an guten und schlechten Tagen zusammen. Dabei vergleicht sie nur die schlechten Tage mit den schlechten Tagen und die guten Tage mit den guten Tagen. Das ist eine Angewohnheit, die man sehr sinnvoll auf den eigenen Alltag übertragen kann, denn schlechte Tage haben wir alle. 
  2. Adriennes Herangehensweise an das Thema Berufswahl hat etwas sehr Inspirierendes: Sie betont die Vielseitigkeit und die Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb jedes Berufsfeldes und plädiert dafür, bei Problemen eher an diesen Stellschrauben zu drehen als das Berufsfeld komplett infrage zu stellen. 
Während ihrer Zeit als Logopädin ist Adrienne auch menschlich gewachsen. Sie hat über sich selbst gelernt, dass sie geduldiger ist, als sie dachte. Und sie hat oft ihre Selbstzweifel überwunden – sei es bei der Bewerbung an der Logopädieschule oder bei dem Schritt in die Lehrtätigkeit.
Nun freut sie sich jeden Tag auf die Arbeit und arbeitet sogar zusätzlich zwei Sonntage im Monat für jeweils drei Stunden auf der Schlaganfallstation. „Das würde ich nicht machen, wenn ich nicht so viel Spaß daran hätte“, sagt sie.

Kennst Du schon das Interview mit der Psychiaterin Stephanie? Genau wie Adrienne berichtet sie von ihrem Alltag im Akutkrankenhaus.

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