Die Hebamme
Im Interview
Die Hebamme
Julia spricht über den Arbeitsalltag als Hebamme im angestellten sowie freien Arbeitskontext. Sie führt uns durch die Freuden und Stressmomente eines der emotionalsten Berufe.
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Über Julia
Dass Hebamme der richtige Beruf für sie ist, war Julia nicht immer klar. Nach der Schule hat sie zunächst eine andere Ausbildung gemacht. Nach einem Au-Pair-Aufenthalt im Ausland hat sie mit 20 Jahren ein erstes Praktikum bei einer Hebamme gemacht. Das hat ihr so gut gefallen, dass ab diesem Zeitpunkt der Entschluss feststand. Sie holte ihr Abitur nach und begann die Ausbildung zur Hebamme.
Die Ausbildung ist rein klinisch, findet also abgesehen von zwei Pflichtpraktika bei freien Hebammen ausschließlich im Kreißsaal statte. Früh stellte Julia fest, dass nur die Tätigkeit im Kreißsaal sie nicht zufriedenstellte. Ihr Wunsch war es, die Frauen ganzheitlicher zu behandeln, schon in der Schwangerschaft kennenlernen und im Wochenbett zu betreuen. Um diese intimere Basis herstellen zu können, entschied sie sich, zusätzlich zu ihrer klinischen Tätigkeit in die Freiberuflichkeit zu gehen. Dort betreut sie Frauen in der Schwangerschaft und im Wochenbett.
Julia hat in der Hebammerei einen Traumberuf gefunden. Für ihren Weg zur Hebamme hat sie viel investiert. Sie hat nicht nur ihr Abitur nachgeholt, sondern ist auch in der Ausbildung täglich 140 km gefahren. Trotz der nicht idealen Vergütung ist sie glücklich in ihrem Beruf. Ihr Wunsch ist es dennoch, dass der Beruf der Hebamme die Wertschätzung erhält, die er verdient – nicht nur finanziell, sondern auch inhaltlich: „Es ist ein Beruf, der großes medizinisches und anatomisches Fachwissen erfordert.“ Um diesen Wunsch zu verwirklichen, betreibt Julia einen Instagram-Account, auf dem sie mit manchem Ammenmärchen aufräumt.
Reingezoomt
Ein Arbeitstag
„Mein Tag als freiberufliche Hebamme startet um 9 Uhr. Ich beginne mit Vorgesprächen und Schwangerenvorsorge bei den Frauen zuhause. Gegen Mittag fahre ich zu den Müttern und Neugeborenen nach Hause. Meine Tätigkeit dort umfasst Stillberatung, Wiegen der Kinder, erstes Baden, Behandlung von Geburtsverletzungen, Babymassage. Jeder Tag ist ein bisschen anders als der vorherige.
Die Frauen kriegen von der Krankenkasse eine gewisse Anzahl an Leistungen bezahlt. In den ersten zehn Tagen nach der Geburt komme ich täglich zu den Müttern nach Hause – auch am Wochenende. Wenn alles gut eingespielt ist, reduziere ich das etwas. Ich passe das aber immer auch an die Bedürfnisse der Frau an. Manche Frauen brauchen mich weniger, manche brauchen mich mehr. Meist bin ich pro Besuch ca. 45 Minuten in jedem Haushalt.“
"Erfolg ist für mich, wenn ich merke, dass die Frauen gestärkt und selbstbewusst in die Situation hinein und hinausgegangen sind. Wenn die Frauen sich bei mir fallen lassen können und mit der Geburt zufrieden sind, erfüllt mich das mit Zufriedenheit. "
Julia
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Work-Life-Balance
„Ich glaube an das Konzept. Als Hebamme ist das aber schwer umzusetzen. Durch den Personalmangel hat man wenig Freizeit. Man wird angerufen, wenn man frei hat, wenn man im Urlaub ist, man macht unbezahlte Überstunden. In anderen Ländern läuft das besser, zum Beispiel in nordischen Ländern. Ich glaube, dass die deutsche Einstellung zur Arbeit nicht immer gesund ist. “
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Das Thema Traumberuf
„Um langfristig glücklich zu sein und bis zur Rente arbeiten zu wollen, sollte man seinen Traumberuf finden. Allerdings glaube ich, dass es für jede Person mehr als nur einen Traumberuf gibt.“
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Sollte man wissen, wo man in 10 Jahren stehen möchte?
„Eine grobe Richtung ist schon gut. Aber man sollte sich nicht zu sehr versteifen, denn ich finde, dass es sehr viele Gründe gibt, die dafür sprechen, von einem Plan abzuweichen. Oft kommt es sowieso anders.“
Hebamme
Der Job
Wie wird man Hebamme?
Ab Ende 2022 kann man Hebammenwesen nur noch studieren, andere Zugangswege gibt es nicht. Um den Bachelorstudiengang Hebammenwesen zu belegen, muss man entweder mindestens 12 Jahre zur Schule gegangen sein oder eine Berufsausbildung in der Pflege absolviert haben. Das Studium dauert 4 Jahre. Mit der Akademisierung des Hebammenberufs wollte man eine Attraktivität schaffen, allerdings führt das oft zu weniger Praxiswissen.
Wie sind die Verdienstmöglichkeiten?
Besteht ein Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitgeber, welcher an tarifliche Vorgaben gebunden ist, so liegt das durchschnittliche Einstiegsgehalt einer Hebamme zwischen 2.400 und 3.000 Euro monatlich. Freiberuflich muss man mit jeder Krankenkasse selber abrechnen. Es werden einem schnell Leistungen gestrichen, die die Krankenkassen für nicht notwendig halten. Daher ist jede Abrechnung ein Kampf. Um wirtschaftlich arbeiten zu können, dürfte man nur 20 Minuten in jedem Haushalt sein.
Welche Stressoren bringt Dein Beruf mit sich?
Zeitmangel und Personalmangel sind die größten Stressoren: Dadurch kommt es zu immer mehr äußerlichen Eingriffen, die nicht sein müssten. Im Endeffekt leiden leider die Mütter darunter.
Welche Glücksmomente gibt es?
Der Beruf hat unglaublich viele Glücksmomente: Wenn das Kind das erste Mal schreit, all die Emotionen und Freudentränen im Kreißsaal, die Dankbarkeit der Eltern. Wenn die Kinder in der Betreuung irgendwann anfangen, einen anzulächeln und die Eltern zufrieden aus der Geburt gehen, macht mich das glücklich. Eigentlich gibt es jeden Tag einen Glücksmoment.
Welche Eigenschaften sollte man als Hebamme haben?
- Empathie, Feingefühl
- Zuhören können
- Geduld
- Selbstbewusstsein
- Ehrlichkeit
Denkanstöße
Wie schafft Julia es, trotz emotionaler Beanspruchung und nicht idealer Bezahlung nicht auszubrennen?
Zunächst musste sie als Hebamme lernen, Grenzen zu setzen. Wenn man Frauen in einem so emotionalen Moment begleitet, entsteht oft der Wunsch nach einer Freundschaft in den Müttern. Daher muss Julia die Professionalität wahren, hat ein berufliches Handy und feste Sprechzeiten.
Als Ausgleich zu ihrem fordernden Arbeitsalltag fährt Julia seit ihrem 5. Lebensjahr Motorrad. Wenn sie drei Stunden durch die Gegend fährt und sich mal um niemanden kümmern muss, kriegt sie den Kopf wieder frei. Obwohl Geduld früher nicht zu ihren Stärken gehört habe, ist Julia durch den Beruf viel geduldiger geworden. Sie musste lernen, dass eine Geburt Zeit braucht und es wichtig ist, dass jede Mutter diese in ihrem Tempo erleben kann.
Julias ehrliche und unverblümte Art, ihre ganzheitliche Betreuung und ihre Begeisterung für den Beruf bleiben nicht unbemerkt: Mittlerweile muss sie sich nicht mehr um die Kundinnenakquise kümmern, sondern bekommt neue Kundinnen nur noch über Mundpropaganda.
Kennst Du schon das Interview mit der Pflegefachkraft Eva-Maria? Auch sie berichtet von den Stress- und Glücksmomenten in einem „sozialen Beruf“.