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Die Journalistin

Im Interview

Die Journalistin

Chantale spricht über ihre Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule, die Bedeutung von Haltung und Handwerk, und betont, warum Journalist*innen nicht extrovertiert sein müssen

Foto @ Maria Rohweder

Chantale

Über Chantale

Alle zwei Jahre lädt die Henri-Nannen-Schule in Hamburg, eine der bekanntesten deutschen Journalistenschulen, zum Auswahlverfahren für den nächsten Lehrgang ein. Rund 1500 bis 2000 Interessent*innen registrieren sich im Schnitt, um einen der heiß begehrten Plätze zu bekommen und den Weg zum spannenden Beruf des Journalisten/ der Journalistin anzutreten. Chantale hat es geschafft. Sie hat im Jahr 2019 einen der 18 Ausbildungsplätze im 39. Ausbildungslehrgang der Nannenschule bekommen.

Ihr Weg zur Journalistin war verwinkelt und doch gleichzeitig irgendwie gradlinig. Ein Thema, was sich durchzieht, ist die Begeisterung für das Schreiben. Irgendwann als Kind hat sie sich Klappentexte von Büchern durchgelesen, um herauszufinden, was man machen muss, um Schriftstellerin zu werden. „Da stand häufig, dass die Person Journalist*in ist.“ Zunächst hat sie dann Kulturwissenschaften studiert, ein Auslandssemester in Paris verbracht, ein Kulturmanagement-Praktikum in den USA absolviert. Sie hat neben der Uni gejobbt, um sich diese Träume zu erfüllen.

„Diese Stationen waren schön und lehrreich. Und doch waren es eher andere Momente, solche, die es eher nicht auf den Lebenslauf schaffen, die prägend waren.“ Zweimal bewarb sie sich beim NDR für ein Volontariat, zweimal wurde die Bewerbung abgelehnt. Einmal machte sie als Studentin ein Praktikum bei einem Frauenmagazin. Im Nachhinein bezeichnet sie das als eine wichtige Station: „Ich hatte dort eine Ressortleiterin, die nicht an mich geglaubt hat, weil ich schüchtern war. Sie hat mir gesagt, dass ich zu still sei, um Journalistin zu werden.“ Nach dem Kulturwissenschaftsstudium wandte sie sich erst einmal eine Weile ab vom Journalismus, arbeitete in einem anderen Bereich und blieb eher dem kreativen Schreiben treu. Erst als sie bei einem Radiosender arbeitete, näherte sie sich auch dem journalistischen Schreiben wieder an. Eine Arbeitskollegin empfahl ihr, sich bei der Henri-Nannen-Schule zu bewerben. Ihr Schwerpunkt sei doch ohnehin vielmehr das Schreiben als etwa Fernsehjournalismus.

 „Die Nannenschule war mir schon ein Begriff. Mir war klar, dass das eine Eliteschule ist“, sagt Chantale. „Ich wusste, dass das Aufnahmeverfahren hart und das Ausbildungsgehalt niedrig ist. Daher kam es nicht in Frage. Ich hätte es nicht finanzieren können.“ Doch genau in dem Jahr hob die Henri-Nannen-Schule das Ausbildungsgehalt an. Sie bewarb sich – und wurde angenommen. Außerdem erhielt sie ein Stipendium der FAZIT-Stiftung.

Während ihrer Zeit auf der Schule hat Chantale unter anderem für die ZEIT, den Spiegel und Stern Crime geschrieben. Seit dem Ende der Ausbildung im Oktober 2021 hat sie unter anderem Aufträge für ZEIT Verbrechen und Stern Crime. Nebenher moderiert sie ein Funk-Format und studiert Psychologie.

Ich habe Chantale zum Interview getroffen, um mit ihr über das Berufsbild, ihr Selbstverständnis als Journalistin und ihre Visionen zu sprechen.

Reingezoomt

Ein Arbeitstag

„Kein Tag gleicht dem anderen. Jede Recherche bringt neue Begegnungen, neue Menschen, neue Erkenntnisse mit sich – das macht den Beruf so abwechslungsreich. Zunächst recherchiert man ein Thema an, prüft es auf Relevanz, sucht passende Protagonist*innen und überlegt sich, in welche Richtung die Geschichte gehen soll. Dann trifft man die Menschen, interviewt und begleitet sie. Danach beginnt das Transkribieren und schließlich das Schreiben. Am Ende dreht der Text noch ein paar Korrekturschleifen.“

"Für das journalistische Arbeiten ist eine Mischung aus Handwerk und Haltung bedeutsam: Offenheit, Neugier und eine konstruktive Weltsicht habe ich in die Ausbildung mitgebracht. Das Handwerk habe ich auf der Nannenschule gelernt."

Chantale

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Work-Life-Balance

„Manche Menschen fühlen sich von ihrem Job so erfüllt, dass sie kaum Ausgleich brauchen. Ich trenne Beruf und Privates. Auch wenn ich natürlich trotzdem überall Geschichten entdecke. Aber ich finde ich es wichtig, dass Arbeit und Nicht-Arbeit beides ihre Berechtigung haben.“

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Das Thema Traumberuf

„Man verlangt ganz schön viel von einem Job, wenn er sowohl die Lebenskosten finanzieren als auch die absolute Erfüllung aller Träume bedeuten soll. Solch einer übermäßige Idealisierung tut nicht gut. Ich finde es wichtiger, einen Job auszuüben, der mit den eigenen Werten und Zielen übereinstimmt: Einem Menschen kann es wichtig sein, viel Geld zu verdienen und seine Träume in der Freizeit nachzugehen. Einem anderen ist es vielleicht wichtiger, beruflich Menschen zu helfen und sich in der Gesellschaft zu engagieren.“

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Sollte man wissen, wo man in 10 Jahren stehen möchte?

„Ich finde es hilfreich, eine Vorstellung davon zu haben. Natürlich sollte man seine Ziele regelmäßig auf Aktualität prüfen. Grundsätzlich finde ich es am wichtigsten, in Bewegung zu bleiben und nicht lange stillzustehen. Selbst wenn sich ein Ziel als unpassend herausstellt: Auch solch eine Erkenntnis hilft und treibt jemanden voran.“

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"Erfolg ist, wenn man mit seinen Werten kongruent lebt. Das ist etwas sehr Individuelles: Für den einen Menschen kann das Familiengründung bedeuten, für jemand anderes kreatives Schaffen oder berufliche Hingabe.“
Chantale

Journalistin

Der Job

Wie wird man Journalistin?

„Der gängige Weg ist es, zu studieren und im Anschluss entweder ein Volontariat zu machen oder auf eine Journalistenschule zu gehen. Man kann auch versuchen, sich ohne Studium direkt auf einen Platz in einer Journalistenschule zu bewerben. Aber man hat viel Konkurrenz. Trotzdem kann ich nur jede und jeden unbedingt ermutigen, es auch ohne akademischen Hintergrund zu probieren – andere Perspektiven bereichern das journalistische Feld.“

Was verdient man als Journalistin?

„Reich wird man mit dem Beruf nicht. Journalismus ist eben auch Handwerk: Als Freie ohne Pauschalisten-Vertrag oder ähnliches verdienst du im Regelfall pro Text ein Honorar. Den Prozess des Recherchierens und Schreibens kannst du nicht automatisieren. Wieviel man genau verdient hängt davon ab, in welchem Bereich man tätig ist: Von Print bis Fernsehen, von Lokaljournalismus bis zur Auslands-Doku ist viel möglich. Als freie Journalistin hat man Verhandlungsspielraum und sollte sich einen Tagessatz überlegen.“

Welche Stressoren bringt Dein Beruf mit sich?

  • Leistungsdruck: Man braucht immer ein Produkt und kann daher auch in schlechten Zeiten nicht passiv sein.
  • Präzision: Man muss alles gewissenhaft und korrekt machen, man sollte sich keine Ungenauigkeiten leisten. Und wenn es doch passiert: Transparenz!
  • Für mich persönlich die sozialen Faktoren. Manchmal fällt es mir zu Beginn einer Recherche schwer, fremde Menschen anzurufen. Aber ich habe die Strategie entwickelt, Themen schon vor der Kontaktaufnahme gründlich anzurecherchieren. Ich bin in der Hinsicht perfektionistisch, eine gute Vorbereitung ist mir sehr wichtig. Aber ich habe gemerkt: Auch Protagonist*innen schätzen es, wenn man sich in eine Thematik schon eingelesen hat.

Welche Glücksmomente gibt es?

  • Am schönsten ist es, wenn die Dinge völlig anders sind als vermutet. Und als Journalistin sollte man möglichst oft auf neue Erkenntnisse stoßen, wenn man seinen Job handwerklich richtig macht.

  • Ein weiterer Glücksmoment: Wenn Protagonist*innen sich freuen, ihre Geschichte erzählen zu dürfen. Allerdings zeigt mir das auch, wie sehr Menschen aneinander vorbeileben, wie viel Einsamkeit und Leid es gibt – und was für ein journalistisches Privileg es ist, Stimmen hörbar zu machen. Davor habe ich Demut.

  • Außerdem hat man als Journalistin die Möglichkeit, in Leben hineinzuschnuppern, die man selbst niemals leben wird. Man kommt aus der eigenen Blase heraus und merkt, wie viele Wirklichkeiten es fernab der eigenen Vorstellungen gibt.

Welche Eigenschaften sollte man als Journalistin haben?

„Neugier, Offenheit und ein konstruktives Interesse an der Welt halte ich für elementar. Auch Demut davor, dass andere Menschen einen an der eigenen Geschichte teilhaben lassen. Ebenso wichtig sind Kritikfähigkeit und Reflexionsvermögen – denn es ist der Normalfall, dass die eigenen Texte im Nachhinein redigiert werden. Ich habe häufig den Eindruck, dass das journalistische Berufsfeld von Lauten und Extrovertierten dominiert wird. Nicht selten mit ausgefahrenen Ellenbogen. Ich möchte auch den Leiseren unter uns Mut machen, den Beruf zu ergreifen. Gewissenhaftigkeit, Empathie und die Fähigkeit wirklich zuzuhören zahlen sich aus. Letztlich ist es egal, ob leise oder laut: Am Ende des Arbeitstages steht eine geschriebene Geschichte – und die spricht für sich.“

"Irgendwann hab ich mal mein Tagebuch aus Jugendzeiten gefunden. Da hatte ich mit 15 Jahren aufgeschrieben, was ich werden möchte. An erster Stelle stand Journalistin und an zweiter Stelle Fotomodell im Otto-Katalog. Das zweite hat nicht so gut geklappt, das erste schon."
Chantale

Denkanstöße

In dem Gespräch mit Chantale sind mir drei wichtige Einsichten gekommen:

  1. Wenn jemand sagt, man sei für eine bestimmte Sache nicht geeignet, darf man das hinterfragen. Man kennt sich selbst länger und besser als die andere Person. Und wenn man einen für einen bestimmten Beruf  ungewöhnlichen Strauß an Eigenschaften mitbringt, kann das sogar für andere und einen selbst von Vorteil sein.
  2. Schreiben ist nichts, was man in die Wiege gelegt bekommt. Es ist ein Handwerk wie jedes andere, und das kann man erlernen. Wird die Bedeutung von „Talent“ generell überschätzt?
  3. Es macht für das eigene Wohlbefinden einen großen Unterschied, einen Beruf auszuüben, der den eigenen Werten entspricht. Wenn das der Fall ist, empfindet man die eigene Tätigkeit als sinnvoll. Man hat das Gefühl, etwas zu bewirken.

Auf die Frage, wie Chantale es schafft, bei den vielseitigen Anforderungen als Journalistin nicht auszubrennen, antwortet sie: 

„In dem Zusammenhang finde ich es hilfreich, sich die Bedeutung des Berufes klarzumachen. Als Journalist*in gibt man Menschen, die sonst keine Stimme haben, eine Öffentlichkeit. Das ist eine so wichtige, wertvolle und verantwortungsvolle Aufgabe. Das im Hinterkopf zu haben, schafft Demut und Dankbarkeit.“

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Hier erfährst Du mehr über Chantale!

Kennst Du in diesem Zusammenhang schon das Interview mit der Romanautorin Sophia Verena? Sie spricht über den schwierigen Weg zum ersten Roman ohne zuvor Journalistin geworden zu sein.

 

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