100 Frauen - 100 Berufe

Die Bauingenieurin und Baubiologin

Im Interview

Die Bauingenieurin & Baubiologin

Ester spricht über ihre Leidenschaft fürs Bauen, ihren Weg zur Bauingenieurin und ihre Erfahrung mit unterschiedlichen Berufsfeldern innerhalb der Branche. Zudem erzählt sie, wie ihr Interesse für nachhaltiges und wohngesundes Bauen sie zusätzlich den Weg der Baubiologin einschlagen ließ.

About

Über Ester

„Wenn ich mich vorstelle, sage ich tatsächlich oft als Erstes, dass ich Bauingenieurin bin“, sagt Ester aus Ingolstadt, „Ich bin stolz auf meinen Beruf und identifiziere mich darüber.“ Schon als kleines Mädchen hat Ester eine Leidenschaft für Bauprojekte gehabt. Zwar hat sie auch mit Barbies gespielt, doch das Bauen von Häusern für die Barbies nahm viel mehr Zeit ein als alles andere. dennoch kam sie zunächst nicht auf die Idee, ihre Leidenschaft beruflich zu verfolgen. In der Zeit des Abiturs hatte Ester gar keine Idee, was sie machen wollte. Schließlich war ein Tipp ihres Vaters der Anstoß, sich den Studiengang Bauingenieurwesen an der RWTH Aachen anzusehen. Sofort stellte sich die alte Begeisterung für das Bauen ein und Ester schrieb sich sofort ein – in einen Studiengang mit einer Frauenquote von 12 Prozent.

Als junge Bauingenieurin hat Ester zunächst über das Großunternehmen HOCHTIEF  auf einer Tunnelbaustelle in London gearbeitet. Dann wurde sie schwanger und stieß nach ihrer Elternzeit auf die Systemgrenzen einer Branche, die von Männern geprägt ist: Auf der Baustelle wollte niemand in Teilzeit einstellen. Somit hat sie im staatlichen Tiefbauamt in Bayern angefangen. Auch an der Arbeit dort hatte Ester viel Spaß. Ester kennt Bauprojekte von drei Seiten: Sie hat in einer Beraterfirma gearbeitet, war im Bauamt und auf einer Baustelle in einem Großunternehmen. Die Mischung aus unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen hat für sie immer den Reiz ausgemacht: „Ich wollte die Mischung aus Büro und Baustelle und das Schöne am Bauingenieurwesen ist die Vielfältigkeit.“

Als sie und ihr Mann sich nach einem Eigenheim umsahen, begann sie sich zunehmend für nachhaltiges, wohngesundes Bauen zu interessieren. „Ich habe selbst viele Allergien und habe festgestellt, dass der Wohnraum einen starken Einfluss darauf hat.“ So baute sie 2017 gemeinsam mit ihrem Mann ein nachhaltiges Haus. Im Jahr 2019 setze sie die Webseite „Baugorilla“ auf und begann zudem, auf Instagram über Bauthemen aufzuklären. In den letzten Jahren hat Ester eine Weiterbildung zur Baubiologin gemacht mit dem Ziel, sich komplett auf den Bereich des nachhaltigen Bauens zu fokussieren. Nebenbei bringt sie ein Sachbuch heraus, welches Bauherren und Bauherrinnen über nachhaltiges Bauen informiert. 

Reingezoomt

Ein Arbeitstag

„Im Moment ist jeder Tag anders. Diese Woche habe ich nur an meinem Buch geschrieben. 

Auf der Baustelle hatte ich oft Schichtbetrieb mit Tag- und Nachtschicht. Als Schichtingenieurin musste ich vor Ort sein und Entscheidungen treffen. In England, Schottland und Stuttgart war meine Tätigkeitsbeschreibung auf der Baustelle „Design Supervisor“, ich war also dort als Fachkundige ansprechbar, habe dafür gesorgt, dass alles nach Plan läuft, den Fortschritt und die Maschine überwacht, zum Teil auch die Geologie überprüft, Messungen durchgeführt. In Schottland habe ich auf einer Wasserbaustelle die Gründung für eine Brücke geplant und überwacht. Dort waren meine Arbeitszeiten sehr unterschiedlich, Mal habe ich sechs Stunden, mal 18 Stunden gearbeitet.

Im Baubüro hatte ich normale Arbeitszeiten. Dort nahm ich an Meetings teil, plante, hatte aber auch einen Baustellenbesuch pro Tag.“

"Erfolg bedeutet für mich, mit sich selbst zufrieden zu sein. Ich bin eigentlich ein sehr unzufriedener Mensch. Aber seitdem ich nicht mehr nach so vielen Dingen strebe, bin ich glücklicher."

Ester

Was denkst du über ...

Work-Life-Balance

„Ich glaube an dieses Konzept, denn ich finde, dass man sowohl einen Ausgleich von der Arbeit braucht, aber auch einen Ausgleich vom Privatleben. Gerade wenn man Kinder hat, ist das meiner Meinung nach unerlässlich. Sicherlich gibt es Menschen, die komplett in ihrer Arbeit aufgehen und weniger Privatleben brauchen, aber dennoch sind beide Bereiche mit unterschiedlichen Stressfaktoren verbunden und daher halte ich sehr viel davon, diese Balance für das eigene Wohlbefinden zu nutzen.“

Was denkst du über ...

Das Thema Traumberuf

Ich finde, dass man seinen Traumberuf finden sollte. Zumindest sollte man etwas finden, wohinter man voll und ganz steht. Dass dann mal Teile langweilig und anstrengend sind, ist normal. Doch ich bin der festen Überzeugung, dass es nicht so wehtut, wenn es mal anstrengend ist, wenn das Herz involviert ist bei dem, was man tut.“

Was denkst du ...

Sollte man wissen, wo man in 10 Jahren stehen möchte?

„Nein. Ich hätte vor 10 Jahren eine ganz andere Vision von mir gehabt. Niemals hätte ich gedacht, dass ich zwei Kinder und einen Hund haben würde.  Ich glaube, dass man falsche Entscheidungen trifft, wenn man an sich selbst in 10 Jahren denkt. Man sollte Entscheidungen im Hier und Jetzt treffen. Natürlich kann man sich Ziele setzen. So habe auch ich eine Bucket-List. Dort stand auch, dass ich ein Buch schreiben will. Doch wenn man sich zu sehr an diesen Zielen festhält, ist man nicht mehr offen, für die Dinge, die passieren oder die Menschen, die man trifft. Bevor ich meinen Mann kennengelernt habe, wollte ich keine Familie, sondern Karriere machen. Doch wenn ich zurückblicke, bin ich nun genau an der richtigen Stelle.“

"Ich habe als Kind zwar Barbies gehabt, aber habe mehr Zeit damit verbracht, Barbie-Häuser zu bauen, als mit den Barbies zu spielen."

Bauingenieurin

Der Job

Wie wird man Bauingenieurin?

Der typische Bildungsweg, um Bauingenieurin zu werden, ist ein Studium des Bauingenieurwesens. Dieses Studium ist an vielen deutschen Hochschulen und Universitäten möglich. Das Studium dauert in der Regel sieben bis neun Semester. Danach besteht die Möglichkeit, ein Masterstudium (meist vier Semester) anzuschließen, um den Masterabschluss zu erlangen. Während des Studiums oder vor dem Studium ist es oft vorteilhaft, Praktika in Bauunternehmen oder Ingenieurbüros zu absolvieren. Nach dem Studium gibt es verschiedene Möglichkeiten, in den Beruf einzusteigen. So kann man in Ingenieurbüros, Baufirmen, Behörden, der Bauindustrie oder anderen relevanten Branchen tätig werden. 

Wie sind die Verdienstmöglichkeiten?

Als Bauingenieurin kann man gut verdienen. Als Jungingenieurin in einem großen Unternehmen bin ich damals mit 4200 Euro Brutto eingestiegen. Gerade die Auslandsbaustellen sind sehr lukrativ. Daher würde ich jeder Absolventin empfehlen, erst einmal auf einer internationale Baustelle zu arbeiten. Insgesamt verdient man im Bauamt eher schlecht, in der freien Wirtschaft gut.

Welche Stressoren bringt Dein Beruf mit sich?

Am meisten stresst mich Kosten- und Zeitdruck. Das kann passieren, wenn ich auf schlecht organisierten Baustellen auf Zulieferer warten muss. Solche Wartezeiten stressen mich mehr, als wenn meinerseits Schnelligkeit gefordert ist.

Außerdem stressen mich die Systemgrenzen. Für Frauen wird oft nicht mitgedacht. Das beginnt bei der Größe der Sicherheitsschuhe und endet bei der häufigen Weigerung, in Teilzeit einzustellen.

Welche Glücksmomente gibt es?

Im Bauingenieurwesen sieht man, was man erschafft. Das beste Gefühl ist, wenn man durch den fertigen Tunnel oder über die fertige Brücke fährt oder in der Zeitung von dem eigenen Projekt liest. Dann weiß man wirklich, dass die Arbeit etwas gebracht hat. 

Welche Eigenschaften sollte man als Bauingenieurin haben?

Als Bauingenieurin braucht man ein dickes Fell. Man sollte sich nichts gefallen lassen. Ich bin der Meinung, dass man sich als sensible Person in dem Job keinen Gefallen tut –  zumindest nicht auf der Baustelle. Abgesehen davon ist der Beruf so vielfältig, dass sich dort für jede Persönlichkeit ein Einsatzbereich findet.

"Ich habe viele positive Erfahrungen als einzige Frau in einer Männergruppe gemacht, aber auch einige negative. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich doppelt so viel machen muss wie die Männer, um gleich behandelt zu werden."

Denkanstöße

Durch ihren Beruf hat Ester gelernt, dass sie keine Spezialistin, sondern eine Scannerpersönlichkeit ist. Früher hatte sie immer die Vorstellung, dass sie in einer Sache richtig gut sein muss, und es hat sie frustriert, dass sie nie die Beste  war. Obwohl der Tunnelbau sie sehr interessierte, wurde die Materie irgendwann sehr spezifisch, was Selbstzweifel bei Ester auslöste, da sie das Interesse, noch tiefer einzutauchen, einfach nicht hatte. „Je spezifischer es wurde, desto blöder fand ich es.“ Dass sich hinter diesem Phänomen keine persönliche Schwäche verbirgt, sondern ein anderer Persönlichkeitstyp, wurde ihr erst vor kurzer Zeit klar. Als Scannerpersönlichkeit gehört es zu Esters Stärken, vielfältig interessiert zu sein, den Überblick zu behalten und Fäden zu verknüpfen. Sie weiß nicht von einer Sache alles, sondern dafür von vielen Sachen etwas. 

Doch sei das Bauingenieurwesen insgesamt so vielfältig, dass dort jede Persönlichkeit ihren Platz finde. Ob analytisch veranlagt, sehr extrovertiert, introvertiert oder sogar menschenscheu – jeder findet im Bauingenieurwesen etwas, laut Ester. 

Nach der Veröffentlichung ihres Sachbuches möchte Ester noch weitere Fortbildungen in der Baubiologie machen und als Bauberaterin für nachhaltiges Bauen ihre Selbstständigkeit weiter ausbauen. Sie schließt mit einem persönlichen Fazit der letzten Jahre: „Mir ist klargeworden, dass man sich viel öfter vor Augen halten muss, was man im Leben alles schon gemeistert hat, und sich viel weniger oft dafür fertig machen, was man (noch) nicht geschafft hat.“

Social media

Hier erfährst Du mehr über Ester!

Kennst Du schon das Interview mit der Innenarchitektin Lena-Marie? Auch sie hat ihr Hobby zum Beruf gemacht und balanciert Familienleben und Berufsleben.

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.